Marieluise Fleißer in hundert Sekunden - Textvorlage zu Folge 7/2025
Beteiligte Personen
Texte verfasst von Dr. Martina Neumeyer.
Erkennungsmeldodie komponiert und intoniert von Carola Schlagbauer und von Holger Stiller.
Texte gesprochen von Ingrid Cannonier und Sascha Römisch.
Text zur Folge
Ingrid Cannonier: Im Nachkrieg fand nicht nur die Erzählerin Interesse. Auch für die Dramatikerin interessierten sich schon früh Theater wie 1947 das Bayerische Landestheater und das Ingolstädter Stadttheater, 1948 die Münchner Kammerspiele. Allerdings fanden damals dort die mir in Aussicht gestellten Uraufführungen nicht statt. Das Warten darauf, meine Komödie Der starke Stamm aufgeführt zu erleben, zog sich bis Herbst 1950. Da erfuhr ich…
Sascha Römisch: …Brecht kommt zur Einstudierung seiner Mutter Courage in die Münchner Kammerspiele.
Ingrid Cannonier: Das war die Gelegenheit, den von mir schon lange bereuten Bruch mit Brecht zu kitten und vielleicht wieder zu erleben, was mein Förderer Feuchtwanger vor 25 Jahren gesagt hatte:
Sascha Römisch: Wenn es einen Weg zur Aufführung gibt, dann nur über Brecht.
Ingrid Cannonier: Bei der Begegnung mit Brecht versprach er mir,
Sascha Römisch: meiner Fleißerin verhelfe ich zur ersehnten Uraufführung. Es ist mir eine Ehre, oder besser gesagt eine Ehrensache, meine Fleißerin für die einstigen Ehrverletzungen zu entschädigen.
Ingrid Cannonier: Am 7. November 1950 wurden Brechts Worte Wirklichkeit.
Damals erlebte in den Münchner Kammerspielen das Publikum…
Sascha Römisch: …zwei Stunden Heiterkeit, ausgelöst durch eine Familienkomödie von Format mit prächtig-prallem Personal und mit Dialogen der gefälligsten und der galligsten Art. Sie sahen darstellerische Glanzleistungen der Giehse und des Gondrell. Der Regisseur Schweikart inszenierte glänzend.
Ingrid Cannonier: Langer donnernder Applaus demonstrierte die Begeisterung des Publikums aus Prominenz und Profikritikern.
Erfreut las ich die Kritiken in lokalen und überregionalen Zeitungen. Die Feuilletonisten waren sich einig:
Sascha Römisch: Marieluise Fleißers Starker Stamm ist ein starkes Stück. Ihr Starker Stamm ist weit entfernt vom üblichen schöntuerischen Volksstück und vom üblichen Heimatdullijöh, ist neuartig und einzigartig. Das Stück lebt von Schärfe und Genauigkeit der Beobachtung sowie von der Sicherheit in der Charakterzeichnung. Darstellungs- und Handlungsmittel ist die Sprache … und Fleißers Sprache ist bildkraftvolle bayerische Dialekt-Sprache, die zur Herzenssache wird und nicht Zungengelegenheit bleibt.
Ingrid Cannonier: Kritiker akzentuierten genau das, was auch mir auffiel und aufstieß:
Sascha Römisch: Fleißers Komödie Der starke Stamm ist ein gut gebautes, ganz auf gekonnte Milieu- und Charakterzeichnung gestelltes Stück ohne Dramatik.
Dieses Dialektstück ist ein vom Tragischen weg zu einem komödientypischen guten Ende gekonnt hingesteuerter Bilderbogen, der durch seine Ungeschminktheit Hochachtung verdient, durch seine Sprachkraft bezwingt, durch seine humorigen Lichter versöhnt.
Ingrid Cannonier: Unfähig bin ich Handlung auf die Bühne zu bringen, das hab ich genauso wie die Kritiker gsehn! – Deshalb schwor ich mir: Kein Stück werde ich mehr für die Bühne schreiben…
An Schreiben war in den 1950er Jahren gar nicht zu denken, wegen der Hetze, in der ich lebte.
© Dr. Martina Neumeyer